Mentale Aspekte im Sport, Pandemie, Karriereende?

Ein bisschen etwas kommt (hoffentlich) diese Saison noch an Wettkämpfen auf mich zu, aber duathlontechnisch kann ich (leider) schon auf die vergangene Saison abschließend zurückblicken.
Nach zwei stark von der Pandemie geprägten Jahren ist es 2022 wieder halbwegs normal gelaufen. So ganz aber auch schon wieder nicht, denn mein erster geplanter Duathlon (der erste Grand Prix in Frankreich) in diesem Frühjahr ist noch coronabedingt ausgefallen und direkt danach war ich erstmal selbst so richtig krank inklusive entzündungsbedingt ordentlichem Eisenmangel, der sogar nur mit Infusion (die Erste meines Lebens überhaupt!) in den Griff zu bekommen war. Sportler wissen, das hängt einem ordentlich nach, aber ich konnte dann dennoch im Sommer schon wieder überraschend tolle Leistungen zeigen. Der letzte Duathlon ist jetzt leider wegen unpassender Flugverbindungen für mich ausgefallen.
Die Platzierungen seit 2020 sind nicht ganz das, was man so davor von mir gewohnt war. Das war mental teilweise recht hart für mich, zumal ich auch mit der ganzen pandemiebedingten Unsicherheit überhaupt nicht gut zurechtgekommen bin. Auch Behandlungsmöglichkeiten bei aufkeimenden Problemen am Bewegungsapparat waren sehr eingeschränkt, sodass ich leider ein paar Probleme inklusive Trainingsrückstand recht lange mit mir mitgeschleppt hab. Wenn einmal der Wurm drinnen ist, dann ist er das eben.
In absolute Spitzenform zu kommen erfordert jahrelangen konsequenten Aufbau und hat man sein genetisches Maximum schon fast ausgereizt, so fällt man von diesem Niveau auch sehr viel schneller wieder herunter, als wenn man noch mehr Spielraum hat. „Come back stronger“ ist auf einem gewissen Level leider eine ziemliche Illusion – es sei denn, man hat bisher nicht allzu viel richtig gemacht und dadurch noch viel Potenzial, das einem offen steht.
Ich hab mich aus mentalen Tiefs durch ständige Rennabsagen und berufliche Unsicherheit durch eine zweimonatige Entlastungsphase letzten Spätherbst wieder gut herausholen können. Seitdem ging es formtechnisch wieder schön bergauf, ich hab wieder irrsinnig Freude an den Bewerben. Beim Laufen konnte ich mich sukzessive immer näher an mein 2018er-Niveau bringen, wenngleich mir noch ca. 3sec/km fehlen und die Form noch nicht ganz so stabil wie früher ist (logisch nach gesundheitsbedingten Unterbrechungen, wo auch ein wenig die Basisarbeit im Vorfeld betroffen war). Dennoch konnte ich schon 34-niedrig alleine im Wind auf 10 000m laufen und auch die 5km-Leistung mit 16:28min auf einem recht genauen und nicht allzu schnellen Kurs bei der Duathlon-EM zeigt ganz gut, dass nicht dramatisch viel fehlt. Am Rad konnte ich mich über die letzten Jahre recht gut steigern, einerseits weil ich das Laufen teilweise durch Radtraining ersetzen musste, aber vor allem spielt mir hier das höhere Trainingsalter und die Erfahrung stark in die Karten.
Und dennoch reicht es dann aktuell weder national noch international für ganz vorne. Das liegt allerdings weniger an meinen Leistungen, sondern an der enorm gestiegenen Dichte im Damensport, was ja mehr als zu begrüßen ist!
National habe ich im Laufen viel mehr Konkurrenz durch sehr professionell arbeitende Spezialistinnen. Wo ich früher ein Staatsmeisterschaftsgold nach dem anderen holen konnte, muss ich inzwischen mit guten Leistungen froh sein, es aufs Podium zu schaffen. Das ist als Multisportlerin aber auch absolut in Ordnung so und es ist viel, viel motivierender, bei einer gut besetzten Meisterschaft eine gute Zeit laufen zu müssen, als alleine das ganze Feld zu überrunden und eine für einen selbst eher wertlose Zeit zu laufen.
Auch im Radsport hat sich durch die Damenradbundesliga viel getan und mit ähnlichen Leistungen rangiert man viel weiter hinten in der Ergebnisliste. Auch das ist völlig ok für mich, mit den Wattleistungen hat man dennoch einen guten Vergleich über die Jahre und im Endeffekt sind das alles nur Aufbaurennen und Zubringerleistungen für die Duathlons für mich.
Auch dort hat sich enorm viel getan. Früher konnte ich mit meinem aktuellen Lauflevel oder knapp stärker die Rennen im Laufen aktiv gestalten, jetzt kann ich an guten Tagen in der Führungsgruppe mitlaufen. Vor der Pandemie hatten nur sehr wenige Mädchen im Duathlon das Potenzial für 33:XXmin auf 10km, jetzt sind es sicher 10-15, davon auch noch die eine oder andere mit 31-32min-Level. Dadurch hat sich die Renncharakteristik für mich geändert. Früher war es so, dass ich beim ersten Lauf die Radbeine der anderen durch hartes Anlaufen und Wechseltempo zerstören wollte, sodass es am Rad dann entsprechend ruhiger zugeht und für den abschließenden Lauf die Chancen für mich gut stehen. Jetzt ist es eher so, dass ich beim ersten Lauf mit meinen eigenen Körnern mehr haushalten muss, meist abwäge, ob ich bewusst eine kleine Lücke zu ganz vorne aufreißen lasse, die ich am Rad wieder schließe, oder ob ich „all-in“ gehe und um jeden Preis in der Führungsgruppe aufs Rad kommen will. Auf der Standarddistanz hat das im Juli dann schon mehr als gut funktioniert und war auch nicht mehr ohne Reserven. Auf der Sprintdistanz fehlt mir aktuell im Vergleich zu den anderen noch etwas die Grundschnelligkeit. Hier wären mehr Rennen – so wie früher bei mir üblich – sehr hilfreich. Am Rad ist es dann halt leider auch immer ein wenig Glück (oder eben Pech), was man für eine Gruppe findet und wie gut die Zusammenarbeit ist (bzw. ob das eigene Fahrrad auch die Reise übersteht und ankommt …)
Jedenfalls bin ich am Rad deutlich souveräner geworden, während ich bei meinem WM-Titel 2018 noch viel mehr darauf angewiesen war, ein Hinterrad zu finden und zu halten, so kann ich inzwischen am Rad das Rennen selbst mitgestalten. Das hat bei allen Duathlons in diesem Jahr, bei denen ich auch mein eigenes Rad zur Verfügung hatte, sehr gut geklappt – und das macht dann auch irrsinnig viel Spaß!
Leider hab ich es dann nicht immer mit der Einteilung gut erwischt, sodass ich beim zweiten Lauf meine von früher gewohnte Stärke zeigen konnte. Ich hab auch erstmal ein paar Rennerfahrungen mit den neuen hohen Carbonschuhen, die auch mit dem Schnellverschluss ganz anders als die „alten“ minimalistischen Wettkampfschuhe funktionieren, gebraucht, um mich damit überhaupt halbwegs zurechtzufinden. Duathlons zu bestreiten lernt man irgendwie nur im Rennen, man kann im Training all die Feinheiten nicht in derselben Qualität simulieren. Jetzt hab ich endlich ein für mich gutes Setup gefunden und die Saison ist schon vorbei – aber die Nächste kommt ja auch mit einer sehr frühen WM im April, auf die ich mich schon sehr freue.
Wenn man mal das wichtigste Rennen in seiner Sportart gewonnen hat, dann kann es halt nicht weiter bergauf gehen und ich hab mich damals schon gefragt, wie sich das wohl für mich entwickeln wird. Werde ich weiterhin dieselbe Freude an den Wettkämpfen haben, auch wenn ich nicht jedes Mal am Podium stehe? Werde ich mich noch für das viele Training motivieren können? Werde ich weiterhin in anderen Lebensbereichen zurückstecken und so viel auf den Sport ausrichten?
Ein bisschen hatte ich Angst davor, dass diese schöne Zeit im Duathlon zu Ende gehen könnte. Klar, irgendwann wird sie das, mit 50 werde ich nicht mehr wettkampffit sein. Aber auch, wenn Jüngere nachkommen und sehr schnell sind, noch 2019 hat Sandra Levenez gezeigt, dass man mit über 40 Weltmeisterin werden kann. Es wird zunehmend schwieriger, die Laufleistungen zu steigern, aber am Rad hat man sehr lange Entwicklungspotenzial. Und am Schluss ist ja ohnehin immer ein wenig Glück dabei – wer steht an der Startlinie, wie gut liegt einem die Strecke, wie entwickelt sich das Rennen.
Ich kann jetzt nach diesem Jahr sagen, dass es mir auch bei Ergebnissen im vorderen Mittelfeld immer noch genauso viel Spaß macht wie früher. Man muss ehrlich sagen, dass die mediale Aufmerksamkeit ohnehin nicht allzu viel mit den Ergebnissen zu tun hat und auch sponsorentechnisch werden bessere Leistungen üblicherweise nicht direkt belohnt. Also hab ich mir im Laufe der Zeit die Frage gestellt, ob ich mir nur aufgrund des gestiegenen Leistungsniveaus und ein paar persönlichen Steinen im Weg die Freude am Duathlon nehmen lassen soll oder ich nicht einfach das Maximum aus dem, was mir möglich ist, zu leisten, mitnehmen möchte. Und das hab ich inzwischen für mich geschafft! Heute freue ich mich über Top10 teils mehr, als früher über eine Silbermedaille, die sich irgendwie nur wie „verlorenes Gold“ angefühlt hat. Das heißt nicht, dass ich nicht mehr gut trainiere und mit vollem Fokus ins Rennen gehe, im Gegenteil. Es fühlt sicher eher ein wenig wie in meiner früheren internationalen Zeit an, als ich bei den ersten Teilnahmen bei EM und WM vor dem Besenwagen knapp der Überrundung entgangen bin. Damals hatte ich den Traum, mich weiter und weiter nach vorne zu arbeiten und den hab ich immer noch. Wie weit ich es schaffe, hängt an vielen Faktoren, aber probieren werde ich es allemal. Und vielleicht geht sich ja schon 2023 wieder eine internationale Medaille aus!

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